Der tierärztliche Notdienst

Der tierärztliche Notdienst

Vorsicht- langer Text! :-)


Letztes Wochenende war es mal wieder soweit: meine Praxen hatten Notdienst. Ich werde nicht auf alle Einzelheiten eingehen, leider war es aber mal wieder so ein Wochenende, wo die Creme de la Creme der unnötigen Anrufe sich den Hörer in die Hand gegeben haben.

Kurz mal zur Erklärung:

Jeder niedergelassene Tierarzt ist verpflichtet, für seine von ihm betreuten Patienten/ Kunden im Notfall erreichbar zu sein.


Erstes Problem: Jeder Tierarzt, zu jeder Zeit, aber nur für seine Patienten in seiner Kartei.

Karteileichen würde ich da persönlich rausnehmen, aber ich zähle die Kunden dazu, die in den letzten sagen wir 12-18 Monaten mindestens einmal für eine Untersuchung da waren.


Zweites Problem: Rund um die Uhr kann ich persönlich nicht leisten, will ich ehrlicherweise auch nicht. Die Zeiten haben sich geändert, und meine Work-Life- Balance ist mir und meinen

Mitarbeitern wichtig und heilig. Und genau dafür gibt es die Möglichkeit, sich im Notfall zu vertreten, sprich mit anderen Kollegen eine (schriftliche) Vereinbarung zu treffen, dass deren Kunden im Notdienst zu mir fahren können und meine Kunden im Notdienst zu ihnen.

Der Notdienstring ist geboren

Streng genommen gilt dieser Notdienstring aber nur für die Kunden der Praxen, die dieser Vereinbarung zustimmen und auch daran teilnehmen!


Anderer Exkurs ins Arbeitszeitgesetz: Meine Mitarbeiter dürfen normalerweise 8h arbeiten (mit Pausen), in Notfällen ausnahmsweise auch mal 10 Stunden. Wenn ich den Notdienst in den Praxen am Wochenende mit Mitarbeitern füllen möchte, brauche ich (von Samstags 8:00 bis Montag 8:00 Uhr) 8 Tierärzte, die nacheinander eine 8-Stunden Schicht arbeiten. Wenn ich die Pausen noch abdecken möchte, dementsprechend mehr. Dasselbe gilt für eine Helferin.

Rufbereitschaft von zuhause aus wird etwas anders gerechnet, kommt aber ungefähr auf dasselbe raus.

Mit logischem Verstand ist dieser Aufwand für eine Haustierarztpraxis nicht zu stemmen. Also macht

normalerweise der Notdienst der niedergelassene Praxisinhaber. Für den gelten die Arbeitszeitgesetze nämlich nicht.


So, fangen wir mal an (wirklich so passiert, aber vielleicht etwas überspitzt dargestellt):

1. Anruf:

in Mainz wurde eine Taube gefunden, die Finder stehen gerade bei der Mainzer Kollegin vor der Tür, die macht aber nicht auf. Auf meine Rückfrage, ob sie denn angerufen hätten, wurde gesagt, nein, sie hätte ja Notdienst. Müsste dann nicht immer

jemand da sein?


Notdienst heißt nicht automatisch, dass immer jemand da ist und man einfach reinspazieren könnte, wenn es grade passt. Viele Kollegen sind auch an einem solchen Tag zuhause und

haben eine telefonische Rufbereitschaft. Heißt- anrufen und sich informieren. Und auch beim Telefonieren kann man nicht davon ausgehen, immer und sofort jemanden zu erreichen. Die meisten Kollegen, die ich kenne, machen den Notdienst alleine. Ohne Helfer

und ohne Rezeptionistin. Und wenn die gerade in einer Behandlung sind oder auch mal auf dem Klo oder was essen, dann geht eben mal keiner ans Telefon. Dann ist man als Kunde aber selbst in der Pflicht, entweder kurze Zeit später nochmal anzurufen oder sich um eine Alternative zu kümmern.


2. Anruf, nachts gegen 2:20 Uhr:

Der Hund hätte sich in den letzten 10 Minuten eben fünfmal erbrochen. Immer wenn er jetzt was trinkt, kommt das sofort wieder und auch das Futter, was man ihm nach dem Erbrechen gegeben hätte, würde sofort wieder ausgespuckt. Eigentlich geht es ihm aber super und man wollte jetzt nur mal nachhorchen...


(kurz mal durchatmen...) Ja, ich kann bei unerfahrenen Hundebesitzern (genau wie bei unerfahrenen Babyeltern) verstehen, dass man sich Gedanken macht. Ja, ich kann

verstehen, dass man lieber mal mit jemandem reden möchte, der sich auskennt, wenn man selbst seinen gesunden Menschenverstand nicht benutzen möchte.

Was ich aber nicht verstehe ist, dass man nachts um halb 3 anruft und einen Kollegen aus dem Bett klingelt, der den ganzen Tag gearbeitet hat um sich zu versichern, dass auch wirklich alles gut ist.

 

Für jeden Hundebesitzer empfehle ich ganz dringend den Besuch eines Erste-Hilfe-Kurses für Tiere, da lernt man die Einschätzung der Dringlichkeit eines Besuches und auch die ersten

Hilfsmaßnahmen eben bei Durchfall und Erbrechen.


Was auch noch zu erwähnen ist: der haustierärztliche Notdienst ist anders als die Kliniken organisiert! Wir sind nicht “sowieso” wach, weil wir Notdienst haben. Wir versuchen, den Notdienst neben unsere normale Öffnungszeiten zu legen, wir haben am nächsten Morgen wieder normale Sprechstunde, heißt wir brauchen die Ruhephasen. Von erholsamen Schlaf kann niemand reden, aber wenigstens liegen und ausruhen lässt uns den nächsten Tag

durchhalten. Und wenn dann zu nachtschlafender Zeit solch unnützen Anrufe kommen, kann man schonmal unfreundlich werden.


3. Anruf (nachts um 0:40 Uhr):

die Katze müsste jetzt sofort eingeschläfert

werden. Es geht ihr schon länger nicht mehr gut, aber jetzt sofort. Als ich gesagt habe, dass der Notdienst in Bad Schwalbach sei, sagte man gut zu wissen, man würde es aber nochmal bei der Kollegin in Mainz probieren, das sei näher. Man könne dann ja zu mir nach Bad Schwalbach kommen, wenn es da nicht klappen würde...


(durchatmen, die zweite...) Wie eben erwähnt, ist der Notdienstring keine Klinik und kein Walk-In, wann es einem passt! Was mir hier auch nicht in den Sinn kommt... warum wartet man bis nachts um halb 1? Hat sich das vor drei Stunden, gegen 21:00 noch nicht

abgezeichnet? Und kann man wenn dann nicht noch 7 Stunden warten, bis am nächsten Morgen der Haustierarzt aufmacht?


Das waren jetzt mal die Negativ- Highlights des Wochenendes. Die geschätzten 30 anderen Termine wurden dann nebenbei abgearbeitet, aber ehrlicherweise echte Notfälle waren vielleicht zwei dabei.

Zwei Anrufer habe ich nach Einschätzung der Probleme und einer kurzen telefonischen Abklärung des Zustandes direkt in die Klinik zur Überwachung geschickt.


Viele Tierbesitzer sind grade wieder am Meckern, dass es keinen Notdienst zu erreichen gibt, dass die Kliniken hoffnungsvoll überfüllt sind und man stundenlang warten müsste.


Was soll ich dazu sagen? Wir haben hier im Raum Mainz/ Wiesbaden das Privileg, noch Kliniken in fahrbarem Umkreis zu haben.

Hofheim ist direkt um die Ecke, Koblenz hat zwei Zentren, die Uni-Klinik in Gießen ist greifbar, die Frankfurter Kliniken sind da, und auf der anderen Rheinseite liegt Alzey und Bad Kreuznach. Da sind andere Regionen viel schlechter dran!

24/7 und Maximalversorger

mit Station sind selten und werden seltener. Leider liegt es aber auch daran, dass viele Menschen einen echten Notfall nicht mehr einschätzen können und wie in der humanen Notaufnahme auch

mit Husten und Schnupfen in die Notaufnahme gehen.


Dann liegt es natürlich leider wie überall auch am Fachkräftemangel. In Wiesbaden schließen in nächster Zeit wieder einige Kollegen ihre Praxen, suchen Nachfolger oder machen einfach zu und gehen in den wohlverdienten Ruhestand. Deren Kunden müssen sich dann auf die anderen Praxen

verteilen. Und die anderen Kollegen können auch nicht hexen. In der Bad Schwalbacher Praxis suche ich seit Monaten nach einer/m Kollegen/in.


Es sind also mindestens zwei Faktoren, die in das Problem eingreifen: Kunden, die nicht einschätzen, was ein Notfall ist und was nicht und die Kollegen, die sowieso schon hoffnungslos mit den normalen Kunden überfüllt sind und dann noch den Notdienst stemmen müssen.

Das Ende vom Lied wird wohl sein, dass sich der Platz beim Tierarzt erkauft werden muss, und zwar mit Ihrem Geld. Die Zeiten, wo jeder Tierarzt mit Dumpingpreisen um Kunden wirbt, sind ziemlich

sicher vorbei.

Waren früher gute Kunden Mangelware, sind es heute Tierärzte.


Was können Sie als Patientenbesitzer jetzt tun, um Ihren (Not-)Tierarzt nicht unnötig aufzuregen?


  • Besuchen Sie einen Erste- Hilfe-Kurs für Tiere. Da geht es nicht

nur darum, eine möglichst perfekte Herz- Lungen- Wiederbelebung zu machen, sondern vor allem darum, die aktuelle Situation

einzuschätzen und zu erkennen, wann ein sofortiger Besuch beim Tierarzt sinnvoll ist und wann das Ganze noch etwas Zeit hat.

Diese Grundkenntnisse lernt man innerhalb von 10 Minuten, der

restliche Kurs sind dann noch kleine, aber feine Tipps, was man tun kann bei Erbrechen, Durchfall, Insektenstich, allergischen Reaktionen, Verletzungen, ...

Und bei meinen Kursen kommt auch die Wiederbelebung vor, was zwar meistens überhaupt nicht gebraucht wird, aber doch viel Spaß

macht.


  • Haben Sie bitte eine aktuelle Krankenakte mit allen

Medikamenten zuhause oder elektronisch auf dem Handy gespeichert. Sollten Sie zu einem Kollegen müssen, ist es wirklich hilfreich zu wissen, ob es Unverträglichkeitsreaktionen auf frühere Medikamente gegeben hat, welche Medikamente zuhause gegeben werden, wieviel und in welcher Dosierung. Es kann auch sinnvoll sein, die letzten Behandlungen/ Quittungen abzufotografieren und auch nachzufragen, welches Medikament als Injektion gegeben wurde.

Wir sehen leider immer noch zu viele Rechnungen, wo “angewendetes Medikament” draufsteht und die Besitzer leider nicht wissen, was injiziert wurde.


  • Haben Sie bitte die Notdienstringe der umliegenden

Landkreise parat. Entweder als Lesezeichen im Internetbrowser, abgespeichert als Foto im Handy oder merken Sie sich die Seiten, wo sie das finden können.


  • Haben Sie bitte Verständnis und Geduld, wenn nicht sofort

beim ersten Klingeln jemand am Telefon ist. Die meisten Kollegen brauchen eine telefonische Voranmeldung, bei manchen müssen

Sie auf den Anrufbeantworter sprechen, bei manchen können Sie einfach hinfahren (Walluf) -> das wird aber

IMMER deutlich kommuniziert! Und im Zweifel rufen Sie bitte nach einer gewissen Zeit nochmal an.

Oder schauen Sie nach Alternativen (Kliniken...)


  • Überlegen Sie sich bitte wirklich (vor allem ab 23:00 Uhr), ob

der Anruf jetzt wirklich sein muss!

Die ersten unnötigen Anrufe zu nachtschlafender Zeit kann man als Tierarzt noch gut wegstecken, aber wenn Sie dann leider der 15. sind, der ohne Notfall anruft, kann einem schon mal die Hutschnur

platzen, und dann bekommen Sie das dann eben mal ab.

Aktuell sind die Notrufnummern bei uns in

der Gegend noch kostenfrei, es gibt aber auch schon Regionen in Deutschland, wo allein der Anruf bereits ordentlich Geld kostet. Das können einzig und allein Sie verhindern, indem unnötige Anrufe

unterbleiben.


So, der Text war jetzt lang genug. Am Freitag darf ich wieder ran, mal schauen, was ich da zu berichten habe. Vielen Dank fürs Lesen!


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